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Das Geheimnis seiner Ausstrahlung: Wie Schiedsrichter Deniz Aytekin sich Respekt verschafft (und Dir das im Job auch gelingt)

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Seine Entscheidung ist Gesetz: Respekt auf dem Platz bekommt Aytekin vor allem dafür, klar, transparent und damit berechenbar zu sein. (Foto: DPA)

Fußballmillionäre tanzen nach seiner Pfeife: Bundesliga-Referee Deniz Aytekin verrät, wie er wütende Spieler besänftigt, mit Druck umgeht, was es mit seinem kuriosen Zitronen-Vorfall auf sich hat und wie abwechslungsreich sein Job-Leben abseits des Spielfelds ist.

Interview: Anika Gottschalk

XING: Im Fußball zeigen Männer ihre Gefühle, heißt es. Emotionen spielen eine große Rolle und besonders temperamentvolle Spieler und Trainer können auf dem Platz schon mal austicken. Wie regelst Du solchen Situationen? 

Deniz Aytekin: Sehr hilfreich ist, dem Gegenüber in so einem Moment zu signalisieren: Ich sehe dich. Die Spieler auf dem Platz haben meist kein Problem mit einer gegenteiligen Meinung, sondern damit, dass sie sich nicht ernst genommen fühlen. Sehr aufgebrachte Spieler versuche ich, durch große und beruhigende Gesten unterbewusst zu beruhigen. Das funktioniert. Gerade wenn viel auf dem Spiel steht, hilft es, wenn die Leute spüren, dass ich gut mit ihnen umgehe und Ruhe ausstrahle. 

Welche Eigenschaften braucht ein Top-Schiedsrichter noch, wenn er, wie Du, sowohl in der Bundesliga als auch international Karriere machen will?

Aytekin: Allem voran braucht es Kommunikationsfähigkeit und Fachkompetenz. Wenn ich eine Entscheidung treffe, muss sie auf Wissen und Fakten basieren. Damit sie schnell und unter Druck gefällt und dann auch akzeptiert werden kann. Ich muss verständlich und für jeden nachvollziehbar erklären können, warum ich die Entscheidung treffe. Daneben spielt die Fitness eine immer größere Rolle, da das Spiel sehr schnell geworden ist. 

Deine Größe von 1,97 Metern hilft vermutlich auch auf dem Platz, oder?

Aytekin: Sie schadet zumindest nicht. Echten Respekt als Führungskraft auf dem Platz bekomme ich aber vor allem dafür, klar und transparent zu sein und damit berechenbar. Die Spieler und Trainer wollen ernst genommen werden in ihrer Betrachtung des Spielverlaufs. Es braucht Einfühlungsvermögen für die Bedürfnisse aller Beteiligten, um eine bessere Akzeptanz für meine Entscheidung zu bekommen. Dadurch entstehen Vertrauen und Respekt für mich als Autoritätsperson. Als Führungskraft in einem Unternehmen braucht man diese Fähigkeiten im Übrigen auch. 

Als Führungskraft muss man auch mit Druck umgehen können. Wie hältst Du den Druck aus, vor 60 bis 80.000 Menschen ein entscheidendes Spiel zu pfeifen, bei dem es beispielsweise um den Sieg in der Champions League geht?

Aytekin: Zu Beginn meiner Karriere war ich oft angespannt, wenn ich Ablehnung gespürt habe oder ausgebuht wurde. Ich musste lernen, dass nicht ich als Mensch gemeint bin, sondern es um meine Rolle in dem Moment geht. Nicht ich persönlich werde ausgebuht, wenn ich ein Foul pfeife, sondern es geht um meine Funktion als Schiedsrichter. Diese Perspektive hilft sehr.

Welche Situation hat Dich in Deiner Karriere auf dem Platz am meisten mitgenommen? 

Aytekin: Es gab ein EM-Qualifikationsspiel in Montenegro 2015. Dort wurde eine Fackel auf den Torhüter geworfen, Gegenstände auf den Platz geschmissen – darunter auch ein Messer. Auch jetzt kürzlich gab es wieder tätliche Angriffe auf Schiedsrichter. Da denkt man dann: „Jetzt ist die Grenze erreicht. Das geht zu weit“. 

Ist die Stimmung in den Stadien in den vergangenen Jahren aus Deiner Sicht aggressiver geworden? 

Aytekin: In den Stadien gibt es glücklicherweise noch eine gewisse Hemmschwelle. Aber es ist nicht unnormal, dass Schiedsrichter und Familienangehörige Morddrohungen erhalten. Es gibt eine gesellschaftliche Verrohung, mit der allerdings auch Politiker, Lehrer, Einsatzkräfte und Polizisten konfrontiert sind. 

Du hast kürzlich vorgeschlagen, mehr Transparenz für Entscheidungen im Stadion zu schaffen, indem sie den Zuschauern besser erklärt werden. Wie könnte das ablaufen?

Aytekin: Ich bin für alles, was die Transparenz und Akzeptanz von Entscheidungen erhöht. Der Fan im Stadion hat aktuell weniger Informationen als der Fan vor dem Fernseher. Wenn dem Zuschauer im Stadion die Entscheidung entweder durch den Schiedsrichter oder durch eine andere technische Lösung verständlich gemacht wird, sorgt das für Klarheit und Verständnis.

Was ging in Dir vor, als Du kürzlich bei dem Spiel SV Elversberg gegen FC Kaiserslautern die Zitrone geleckt hast, die bei den Fanprotesten auf dem Feld gelandet ist?

Aytekin: Ich bin so erzogen worden, dass man keine Lebensmittel verschwendet und wegwirft. Zitronen liebe ich und fand es einfach schade, dass man sie wegwirft. 

Verliert der traditionelle Fußball aus Deiner Sicht an Attraktivität für die jungen Generationen auch im Vergleich zu neuartigen Fußballformaten wie der Kings League in Spanien oder der Baller League in Deutschland?

Aytekin: Sorgen um den klassischen Fußball mache ich mir nicht. Die Vereine haben eine so tiefverwurzelte Fanbase und eine Verbundenheit zu ihren Anhängern, die über Jahrzehnte gewachsen sind. Das wird bleiben. Diese neuen Formate stehen vor allem für Entertainment und das ist für junge Menschen attraktiv. Weil es leichter verdaulich, unterhaltsamer und in Teilen schneller ist. Konzepte wie die Baller League werden on top funktionieren, den herkömmlichen Fußball aber nicht ersetzen. Das ist wie ein abwechslungsreiches Zweitabonnement. 

Was viele gar nicht wissen: auch Dein Leben ist sehr abwechslungsreich und beinhaltet viele Jobs. 

Aytekin: Das stimmt.

Neben Deinem Beruf als Schiedsrichter bist Du gelernter Industriekaufmann, studierter Betriebswirt und ein sehr erfolgreicher Digitalunternehmer. Und Vater! Hast du das alles gleichzeitig gemacht? 

Aytekin: Es klingt rückblickend einfacher, als es tatsächlich war, aber ja, das kann man so sagen. Ich habe bei Daimler eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolviert und anschließend bei der Norisbank gearbeitet. Dort war ich zuständig für Online-Kooperationen und habe Produkte wie easyCredit vermarktet. Am Wochenende stand ich auf dem Platz. Berufsbegleitend habe ich Betriebswirtschaftslehre studiert und gemeinsam mit Geschäftspartnern Internetportale aufgezogen, weil ich nie vom Fußball abhängig sein wollte. Und Vater wurde ich auch sehr früh…

Welche Portale sind das?

Aytekin: Ich habe das Rechtsberatungsportal anwalt.de mitgegründet und bin Mitgesellschafter von fitnessmarkt.de. Bei meiner aktuellen Beteilung, Daniel Mason, geht es um Silberschmuck für Männer. 

Wie bist Du damals als junger Kerl auf die Idee gekommen, Schiedsrichter zu werden?

Deniz Aytekin: In diesen Beruf bin ich gestolpert – aus meiner Leidenschaft zum Fußball. In meiner Jugend habe ich ambitioniert beim ASV Zirndorf (Kreisliga) gespielt, war aber sehr mager aufgestellt, was mein Wissen über die Regeln auf dem Platz betraf. Also habe ich mich für einen Lehrgang angemeldet, um das Regelwerk von A bis Z zu verstehen. Das hat dazu geführt, dass ich die ersten Spiele gepfiffen habe. Ich bin im positiven Sinne hängengeblieben und habe mit 20 Jahren dann endgültig die Fußballschuhe an den Nagel gehängt und gegen die Schiedsrichterpfeife getauscht. 

Was hat für Dich den Ausschlag gegeben, Deinen Weg als Unparteiischer weiterzugehen?

Aytekin: Es hat mich fasziniert, Verantwortung für ein Spiel zu übernehmen, für 22 Spieler und deren Trainer Entscheidungen treffen zu dürfen. Für mich war das eine enorme Persönlichkeitserfahrung, die mich als jungen Kerl hat reifen lassen. Ich habe gelernt, mit unterschiedlichen Charakteren klarzukommen, mich durchzusetzen, Menschen zu führen, Konflikte zu regeln und mit Kritik klarzukommen. Später bin ich durch diesen Job viel in der Welt herumgekommen – das ist schon eine großartige Lebensschule, die ich da durchlaufen konnte. 

Was kickt Dich heutzutage in dem Job am meisten?

Aytekin: Das ist immer noch der Moment, wenn ich im vollbesetzten Stadion stehe, kurz vor dem Anpfiff. Das ist dann mein Game, meine Verantwortung für ein Spiel in der Sportart, die ich liebe. Dort hole ich mir meine Energie. Mich motivieren aber auch kurze Gespräche mit den Spielern vor dem Spielstart oder in den Pausen. Da sind viele gute Jungs dabei, die ich über die Jahre persönlich kennengelernt habe.

Was ist für Dich persönlich das lukrativere Jobumfeld – der Fußball oder die freie Wirtschaft?

Aytekin: Mit dem Zeitaufwand, den ich für den Fußball investiere, könnte ich in der freien Wirtschaft, beispielsweise mit meiner Tätigkeit als Speaker und Berater von Führungskräften, mehr verdienen. 

Auf dem Platz bist du die Führungskraft von einem Haufen junger Millionäre. Was verdient eigentlich ein Schiedsrichter?

Aytekin: Wenn man auf Spitzenniveau in der Bundesliga und international unterwegs ist, etwa 250.000 Euro im Jahr.

Wie wichtig ist Dir Geld und was machst du damit?

Aytekin: Ich brauche keine großartigen materiellen Luxusgüter. Geld bedeutet für mich Freiheit. Wenn ich in den Urlaub fliege und mir das Hotel vor Ort nicht gefällt, habe ich die Möglichkeit, spontan etwas anderes zu buchen. Ich schätze es, in kostbare Lebensmomente zu investieren und in meine Gesundheit. 

Die DFB-Altersgrenze von 47 Jahren für Schiedsrichter wurde aufgehoben – machst Du weiter oder wirst Du Dich deiner Karriere als DJ widmen, über die wir noch gar nicht gesprochen haben? 

Aytekin: Musik mache ich nur für mich – um auf andere Gedanken zu kommen und um Energie zu tanken. Auch wenn ich regelmäßig als DJ angefragt werde – ich bin nicht buchbar. Als Schiedsrichter höre ich auf, wenn ich das Feuer nicht mehr habe. Und wenn ich merke, dass ich meine körperliche Grenze erreiche, nicht mehr die Kilometer joggen kann, die es im Spiel braucht oder die zwei bis drei Leitungstests im Jahr nicht mehr packe. Dann lasse ich los, da bin ich konsequent.  

Nach wessen Pfeife tanzt du?

Aytekin: Auf dem Fußballfeld darf mir jedes meiner Teammitglieder Hinweise geben. Ich bin froh, wenn meine Teamkollegen mutig sind, aussprechen, was sie denken und spüren, dass sie Fehler machen dürfen. Im privaten Bereich höre ich auf ein, zwei enge Freunde und auf meine jüngere Schwester. Sie ist die wichtigste Person in meinem Leben. Was ich nicht mag, sind ungefragte Ratschläge.  

Über Deniz Aytekin:
Deniz Aytekin, geboren 1978 in Nürnberg, ist seit 2004 Schiedsrichter des DFB, seit 2008 Bundesliga-Schiedsrichter und war von 2011 bis 2022 FIFA-Schiedsrichter. 2017 leitete er das DFB-Pokalfinale zwischen Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt, 2019 und 2022 wurde Aytekin zum DFB-Schiedsrichter des Jahres gewählt. Deniz Aytekin ist zweifacher Vater, Mitgründer und Aufsichtsratsvorsitzender der anwalt.de services AG sowie Gründer und Geschäftsführer des Online-Marktplatzes fitnessmarkt.de. Zudem ist er Autor, Speaker und entwickelt Seminare für Entscheider und Führungskräfte. 

 Infos: www.denizaytekin.de

Veröffentlichungen:

Respekt ist alles: Was auf und neben dem Platz zählt

Souverän entscheiden und führen – Was Führungskräfte von Top-Schiedsrichtern lernen können

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